Interview mit unserer Expertin Melanie Zirkler

In der Welt der schnellen Lösungen und der stetigen Suche nach dem nächsten großen Ding rund um Gesundheit und Wohlbefinden haben Abnehmspritzen in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Prominente und Influencer:innen preisen sie als Wundermittel – doch was steckt wirklich hinter diesem Trend?

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Um Licht ins Dunkel zu bringen, haben wir mit Melanie Zirkler gesprochen, Expertin im Versorgungsmanagement bei der BKK ProVita und sowohl im pharmazeutischen als auch im ernährungsberatenden Bereich tätig.

Interview mit Melanie Zirkler

Hallo. Abnehmspritzen enthalten in der Regel Wirkstoffe, die ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt wurden. Einer dieser Wirkstoffe ist Semaglutid. Sie sind in den Fokus geraten, da sie neben ihrer Hauptfunktion, der Blutzuckerregulierung, auch das Hungergefühl deutlich reduzieren können. Besonders interessant ist das natürlich für Menschen, die abnehmen wollen.

Menschen suchen ständig nach schnellen und einfachen Lösungen. Eine Abnehmspritze klingt hier natürlich sehr verlockend. Prominente machen es vor und präsentieren ihre „Erfolge“ in öffentlichen Portalen.

Viel Aufmerksamkeit erzeugte zum Beispiel der Milliardär Elon Musk, der durch Fasten und die Einnahme eines solchen Medikamentes deutlich sichtbar an Gewicht verloren hat.

Die Wirkstoffe dieser Medikamente ahmen die natürliche Wirkung eines Hormons nach, das normalerweise nach dem Essen freigesetzt wird. Dazu binden sie sich gezielt an eine Andockstelle (den GLP-1-Rezeptor), die sich auf der Oberfläche bestimmter Zellen im Körper, einschließlich der Bauchspeicheldrüse, befindet. Durch die Aktivierung des Rezeptors bewirken diese Medikamente eine verstärkte Freisetzung von Insulin, dem Hormon, das den Blutzuckerspiegel senkt. Zudem verlangsamen sie die Magenentleerung, wodurch Nutzer:innen sich länger satt fühlen und somit weniger essen. Als dritte Wirkung erhöhen Semaglutide das Sättigungsgefühl im Gehirn. Dieser Mechanismus kann bei der Gewichtsreduktion helfen, besonders in Kombination mit einer kalorienarmen Ernährung und regelmäßiger Bewegung.

Die Nebenwirkungen können von mild bis schwer reichen. Zu den häufigeren gehören Übelkeit, Verdauungsprobleme und Kopfschmerzen. Es gibt aber auch ernstere Bedenken, wie ein potenziell erhöhtes Risiko für Schilddrüsenkrebs, Pankreatitis (Entzündung der Bauchspeicheldrüse) und Gallenblasen-Erkrankungen. Es ist entscheidend, dass Menschen diese Risiken ernst nehmen und vor der Entscheidung für eine Behandlung mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin darüber sprechen. Die Gesundheitsrisiken und Nebenwirkungen sollten sorgfältig gegen die potenziellen Vorteile abgewogen werden. Patient:innen mit einem Typ-1-Diabetes dürfen Semaglutide übrigens nicht verwenden, weil ihr Körper kein Insulin herstellt. Ebensowenig Schwangere und stillende Mütter sowie Patient:innen mit bestimmten schwerwiegenden Erkrankungen. Empfehlenswert ist daher auch eine geeignete Verhütungsmethode während und 2 Monate nach Absetzen der Glutidtherapie.

Ein weiterer wichtiger Hinweis: Vor Operationen, insbesondere, wenn zur Schmerzausschaltung (Anästhesie) eine Vollnarkose vorgesehen ist, kann das Risiko bestehen, dass Mageninhalt in die Lungen gelangt (Aspiration) und dort Entzündungen verursacht. Der Grund: Semaglutid verzögert die Magenaktivität, d. h. es dauert länger, bis der Magen vollständig entleert ist: Man ist später „nüchtern“. Wer Semaglutid einnimmt, sollte vor einer OP unbedingt offen mit dem behandelnden Arzt oder der Ärztin darüber sprechen. So können Vorkehrungen getroffen werden, um das Risiko einer Aspiration zu minimieren – z. B., indem das Medikament vor der Operation abgesetzt wird oder besondere Vorsichtsmaßnahmen während der Anästhesie getroffen werden.

Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Spritzen allein keine dauerhafte Lösung bieten. Sobald die Anwendung beendet wird, tritt – ohne eine Änderung des Lebensstils – ein rascher Wiederanstieg des Gewichts ein (JoJo-Effekt). Eine gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung sind nach wie vor die Basis für einen langfristigen Erfolg beim Abnehmen.

In Deutschland und vielen anderen Ländern werden die Kosten für Medikamente zur Gewichtsreduktion oft nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, insbesondere, wenn es sich um einen Off-Label-Use handelt, also eine Verwendung, für die das Medikament nicht zugelassen ist. Die Entscheidung, ob ein Präparat erstattet wird, liegt aber nicht bei uns als einzelne Kasse, sondern wird für alle Krankenkassen getroffen. Der Hauptgrund dafür ist, dass die evidenzbasierte Wirksamkeit und die Sicherheit der Anwendung z.B. im Fall von Semaglutiden bei Übergewicht ohne Diabetes oft noch nicht ausreichend belegt ist. Das führt dazu, dass Personen, die diese Medikamente nutzen möchten, für die hohen Kosten selbst aufkommen müssen.

Ja, das ist ein ernsthaftes Problem. Der erhöhte Gebrauch dieser Medikamente zum Abnehmen hat tatsächlich zu Lieferengpässen geführt, was für Menschen mit Diabetes, die diese Medikamente aus medizinischen Gründen benötigen, sehr problematisch ist. Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, wäre eine strengere Regulierung des Verkaufs und der Verschreibung dieser Medikamente, um sicherzustellen, dass sie nur an Patient:innen ausgegeben werden, die sie wirklich brauchen. Dies könnte auch das Bewusstsein dafür schärfen, dass die Verwendung dieser Medikamente ernsthafte Konsequenzen für andere haben kann. Zudem sind bereits Fälschungen im Umlauf, die entweder keinen Wirkstoff oder andere Wirkstoffe, wie beispielsweise Insulin, enthalten. Vor der Verwendung solcher Präparate kann nur ausdrücklich gewarnt werden.

Ich würde raten, sich gründlich zu informieren und alle Optionen sorgfältig zu prüfen. Abnehmen ist ein komplexer Prozess, der eine langfristige Veränderung des Lebensstils erfordert. Der gesündeste und nachhaltigste Weg zur Gewichtsreduktion liegt in einer ausgewogenen Ernährung und regelmäßiger körperlicher Aktivität. Die Unterstützung durch Fachkräfte wie Ernährungsberater:innen kann hier sehr hilfreich sein, um individuell angepasste Pläne zu entwickeln und umzusetzen. Medikamente können in einigen Fällen hilfreich sein, aber sie sind kein Allheilmittel und kommen mit eigenen Risiken daher. Es ist wichtig, professionelle medizinische Beratung einzuholen und einen gesunden, nachhaltigen Ansatz zur Gewichtsreduktion zu verfolgen.

„Abnehmen ist ein komplexer Prozess, der eine langfristige Veränderung des Lebensstils erfordert.“

Melanie Zirkler | BKK ProVita
So funktioniert die „Abnehmspritze“ im menschlichen Körper.
  • Semaglutide werden in Deutschland unter verschiedenen Handelsnamen wie Ozempic®, Wegovy® oder Mounjaro® als Fertigspritzen angeboten.
  • Sie müssen einmal wöchentlich unter die Haut (subkutan) gespritzt werden und imitieren ein Hormon, das die Insulinproduktion aktiviert, Appetit und Heißhunger hemmt und die Entleerung des Magens verlangsamt.
  • Die Präparate sind entweder als Diabetes-Mittel oder reines Lifestyle-Präparat zugelassen. Sie sind verschreibungspflichtig.
  • Als Diabetes-Medikament werden die Kosten für Semaglutide mit entsprechender Zulassung von den Krankenkassen erstattet. Bei Übergewicht, also im sog. „Off-Label“-Gebrauch, müssen Patient:innen die Behandlung selber zahlen.
  • Die Kosten variieren je nach Präparat und Dosierung und betragen im Durchschnitt aktuell ca. 300 EUR pro Monat.
  • Die häufigsten Nebenwirkungen betreffen den Magen-Darm-Trakt. Schwere Nebenwirkungen sind selten und werden ebenso wie Spätfolgen aktuell noch erforscht.
  • Durch den Hype um die Abnehmspritze kommt es zu Engpässen in der Lieferung für Diabetiker:innen und es werden auf dem Schwarzmarkt Fälschungen angeboten
Abbildungen von Original und Fälschungen des Arzneimittels Ozempic® (Copyright Novo Nordisk)

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