Bewegung für das Immunsystem

Prof. Karsten Krüger erklärt im Interview, wie Sport die Immunabwehr stärkt

Bewegung ist die beste Medizin, sagt man. Warum machen manchen Menschen dieselben Viren mehr zu schaffen als anderen? Und wie können wir unsere Immunabwehr stärken? Karsten Krüger war Leistungssportler, bevor er sich den Sportwissenschaften und der Psychoneuroimmunologie (PNI) zuwandte, um die Wirkung von Bewegung auf das Immunsystem zu erforschen. Seine wichtigste Botschaft ist: „Bleiben Sie ein Leben lang aktiv!“

Herr Prof. Krüger, dieses Jahr haben wir besonders große Sorgen, an einer Virusinfektion zu erkranken. Manche Menschen sind stärker von der Erkrankung betroffen als andere – warum?

Prof. Karsten Krüger: Das hängt von mehreren Faktoren ab: Inwieweit sind wir einem Erreger ausgesetzt? Hatten wir direkten oder indirekten Kontakt zu einer infizierten Person? Wie infektiös ist der Erreger – und wie stark ist mein Immunsystem?

Bei bestimmten Erregern, z. B. auch bei SARS-CoV-2, ist kein Immunsystem stark genug, um uns komplett zu schützen, sofern wir noch nicht immunisiert sind. Ein gutes Immunsystem kann uns aber im Falle einer Erkrankung vor schwerwiegenden Verläufen schützen. Daher erkranken auch ältere Menschen oftmals schwerer. Das Immunsystem altert und funktioniert besonders ab dem Alter von etwa 65 Jahren schlechter.

Können wir unser Immunsystem so beeinflussen, dass wir besser gegen Erkrankungen, wie z. B. die Auswirkungen von Virusinfektionen, gewappnet sind?

Viele Bakterien und Viren sind ständig um uns. Ob wir krank werden oder nicht, hängt dann von der Funktionalität unseres Immunsystems ab. Qualitativ guter Schlaf, eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung und ein gutes Stressmanagement sind wichtige Lebensstilfaktoren, die unsere Immunfunktion beeinflussen. Wer sich einigermaßen an diese Regeln hält, wird seltener krank und übersteht eine Erkrankung besser.

Sie haben das Buch „Der stille Feind in meinem Körper“ geschrieben, in dem es auch um niedriggradige Entzündungen geht – was ist darunter zu verstehen, und wie entstehen diese?

Die Basisaktivität unseres Immunsystems erhöht sich im Alter, es entsteht ein leichtgradiger Entzündungszustand. Daher nehmen Autoimmunerkrankungen im Alter zu. Bestimmte Lebensstilfaktoren, wie Über- und Fehlernährung, Schlafmangel, Inaktivität, Rauchen und chronischer Stress, verstärken diese Entzündungsprozesse. Derzeit wird an vielen Universitäten geforscht, inwiefern diese Entzündungsprozesse Auslöser von anderen entzündlichen Erkrankungen, wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar neurodegenerativen Erkrankungen, sind.

Wie funktionieren antientzündliche Prozesse?

Schon viele Jahre ist bekannt, dass Schlaf das Immunsystem in eine Art Reset-Modus versetzt, also am Tag entstehende Entzündungsprozesse wieder bereinigt. Das sehen wir oftmals auch selbst bei der Betrachtung unseres Hautbildes. Ebenso wirken einige Lebensmittel antientzündlich, z.B. die als Fischöle bekannten mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Auch sportliche Aktivität hat eine antientzündliche Wirkung.

„Die sanfte Freisetzung von Stresshormonen durch Bewegung hat eine antientzündliche Wirkung.“

Wie können Sport und Bewegung Entzündungen vorbeugen?

Hier gibt es unterschiedliche Mechanismen. Ein wichtiger Prozess ist die Ausschüttung von Myokinen aus der Muskulatur. Der kontrahierende Muskel produziert hormonartige Botenstoffe, die immunregulatorisch wirken und ein aktiviertes Immunsystem antientzündlich beeinflussen. Dadurch wird die Immunfunktion gegen Bakterien und Viren gestärkt. Des Weiteren steigert Sport den Energieverbrauch, wodurch bei aktiven Menschen weniger entzündliche Substanzen aus dem Fettgewebe kommen. Auch die sanfte Freisetzung von Stresshormonen durch Bewegung hat eine antientzündliche Wirkung.

Können Sie uns sagen, wie oft wir sportlich aktiv sein sollten?

Die großen sportmedizinischen Fachgesellschaften empfehlen, drei- bis fünfmal pro Woche moderat aktiv zu sein und dabei Ausdauer und Krafttraining zu kombinieren. Aber schon ein bis zwei Trainingseinheiten pro Woche haben große Effekte. Meine Botschaft ist vor allem: Bleiben Sie ein Leben lang aktiv! Sorgen Sie dafür, dass Ihre persönliche Bewegungsbiografie keine allzu große Lücke aufweist.

Bei welchen Therapien spielt Sport eine heilsame Rolle?

Vor allem bei Diabetes Typ 2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei Lungenerkrankungen wie der COPD, bei fast allen Tumorerkrankungen, bei diversen orthopädischen Erkrankungen und nicht zuletzt bei psychischen und neuronalen Erkrankungen wirkt Sport präventiv und therapeutisch. Hier liegen auch Forschungsarbeiten vor, die einen hohen Evidenzgrad aufweisen. Wir sprechen also vom gesamten Spektrum der Zivilisationserkrankungen. Bei vielen dieser Krankheiten können wir direkt in die Pathogenese – also die Entwicklung der Erkrankungen – eingreifen, bei anderen viele Symptome und vor allem die Lebensqualität wirksam beeinflussen.

Kann Bewegung auch bei schweren Krankheiten wie Krebs heilsam wirksam?

Für Darm- und Brustkrebs gibt es belastbare Daten, dass Bewegung präventiv wirkt und auch die Rezidivrate (Rückfallquote) senkt. Insgesamt gehen wir davon aus, dass Bewegung auch das Immunsystem stimuliert und das Tumorwachstum hemmen kann. Auch in der Prehabilitation (Training) vor Operationen und zur Überwindung der Fatigue-Symptomatik (anhaltende Erschöpfung) ist sportliches Training sehr effektiv.

„Grundsätzlich geeignet sind Krafttraining und Geradeaus-Sportarten wie Joggen und Radfahren“

Welche Sportarten empfehlen Sie „normal fitten“ Menschen?

Eigentlich empfehle ich keine Sportarten, sondern bin mit Menschen im Dialog. Woran hatten Sie schon immer Freude? Was passt in Ihr Leben? Was wollten Sie schon immer ausprobieren? Grundsätzlich geeignet sind immer etwas Krafttraining, zu Hause oder im Fitnessstudio, und natürlich die „Geradeaus-Sportarten“ wie Joggen, Radfahren, Schwimmen und Nordic Walking.

Bewegung dient auch dem Wohl unseres Planeten. Welche alltagstauglichen und umweltfreundlichen Bewegungstipps können  Sie den Leser:innen mit auf den Weg geben?

Auch der sportliche Mensch sollte im Alltag aktiv sein. Viele Menschen können Sport nur in sehr spezifischen Settings betreiben, z. B. im Fitnessstudio oder Yoga-Kurs. Stattdessen sollten Sie alle möglichen Wege, wenn möglich auch Teile des Arbeitswegs, mit dem Rad oder zu Fuß statt mit dem Auto zurücklegen. Seien Sie hierbei Vorbild, auch für (Ihre) Kinder! Erleben Sie Anstrengung im Sport als etwas Positives und geben Sie dies an Ihre Mitmenschen weiter.

HINTER DIESEM TEXT

Unsere Kollegin Michaela Ott, Referentin für Wissenschaft bei der BKK ProVita, promoviert derzeit im Bereich Psychoneuroimmunologie (PNI). Sie überlegte sich die Fragen an Prof. Karsten Krüger, bevor sie ihn mit unserer Autorin Karen Cop vernetzte, die das Interview mit dem ehemaligen Leistungssportler und Professor für Leistungsphysiologie und Sporttherapie an der Justus-Liebig-Universität Gießen führte. Prof. Krüger schrieb das Buch „Geben Sie Bakterien und Viren keine Chance! Mit einem starken Immunsystem gesund durchs Leben“, erschienen im Scorpio-Verlag.


Dieser Beitrag ist Teil des neu gestalteten “Magazin fürs Leben”. Unsere Mitgliederzeitschrift (vormals “aktiv & gesund”) bietet dir viermal im Jahr viele spannende Themen.

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Karen Cop

Als Gesundheitsjournalistin und Autorin ist sie der BKK ProVita schon lange verbunden, seit einigen Jahren auch als Redaktionsleiterin des Mitgliedermagazins. Sie liebt Radfahren, Yoga, ihre bunte Patchwork-Familie und alles, was grün ist – na gut, buntes Gemüse auch.