Raus aus der Hilflosigkeit – Rein in die Selbstverantwortung I Expertinnen-Tipps, was man selbst zur Zyklusgesundheit beitragen kann
Obwohl es ein Thema ist, das viele betrifft, haben wir gemerkt, wie wenig wir eigentlich darüber wissen. Darum haben wir zwei Expertinnen rund um das Thema „weiblicher Zyklus und Menstruation“ befragt, und dabei auch einige Tipps bekommen, wie man Zyklusgesundheit leichter in seinen Alltag integrieren kann.
Die Hälfte der Weltbevölkerung menstruiert im Durchschnitt (zusammengerechnet) je ca. 6,5 Jahre (!) ihres Lebens – und dennoch ist die Menstruation ein Thema, das man gerne vermeidet. Es läuft am besten fast unsichtbar im Hintergrund ab, so dass man selbst und die anderen so wenig wie möglich davon mitbekommen. Das Einzige, was man regelmäßig hört, ist, dass 40-60% der Menstruierenden vor oder während ihrer Tage von Schmerzen oder anderen Beschwerden berichten.
Auch Sprüche wie „Du kriegst doch bestimmt bald deine Tage, so wie du grad drauf bist!“, die wahrscheinlich viele Frauen* schon mal zu hören bekamen, tragen nicht unbedingt zu einer positiven Einstellung der Menstruation und dem weiblichen Zyklus gegenüber bei.
Tabuthema „Tage“
Doch warum ist das eigentlich so? Warum haben wir so ein negatives Bild von unserem Zyklus, und wieso redet niemand darüber, wo es doch so viele betrifft und unser Leben so maßgeblich beeinflusst?
Wusstest du zum Beispiel, dass der erste Tag des Zyklus mit dem Einsetzen der Periode beginnt? Oder dass wir über die gesamte Periode nur ca. 60 Milliliter an Blut ausscheiden? Wusstest du, dass die Antibabypille deinen Eisprung einfach komplett verhindert? Oder dass rund um den Eisprung nicht nur deine Libido steigt, sondern auch deine Laune und dein generelles Energielevel? Dass du im Verlauf des Zyklus um mehrere Kilos im Gewicht schwanken kannst, da es vor der Periode zu Wassereinlagerungen kommen kann?
Wir sind zyklisch!
Unser Zyklus ist ein Rhythmus, der die ganze Zeit mitläuft, nicht nur während der Periode. Zyklusexpertin Anne Lippold vergleicht ihn gerne mit anderen Rhythmen in unserem Leben, wie dem Tag/Nacht-Rhythmus oder den vier Jahreszeiten. So wie diese Rhythmen ist unser Zyklus ein großer Rhythmus, der sich regelmäßig (in diesem Fall monatlich) wiederholt und sich maßgeblich auf unser Erleben, Verhalten, auf unser psychisches Wohlbefinden und verschiedene körperliche Prozesse auswirkt. Ihn nicht zu beachten, oder gar gegen ihn zu leben, kann zu ähnlichen Beschwerden führen, wie wenn wir zu wenig geschlafen haben, meint Lippold. „In beiden Fällen sind wir deutlich schmerzempfindlicher, emotional instabiler und die Emotionen kochen schneller hoch, wenn etwas Unerwartetes passiert“ Auch auf unser Stresssystem, unsere Verdauung, den Stoffwechsel und viele andere Bereiche hat der Hormonhaushalt über den Zyklus hinweg seine Auswirkungen. Denn „an keinem Zyklustag ist die Hormonlage so, wie an einem anderen, dementsprechend ist natürlich auch unsere Leistungsfähigkeit je nach Zyklusphase unterschiedlich, sowohl körperlich als auch unsere mentale Stabilität.“
Dabei spielen vor allem zwei Hormone eine Rolle: Östrogen und Progesteron. Während Östrogen vor allem in der ersten Zyklusphase bis zum Eisprung dominant ist und dazu führt, dass wir mehr Energie haben und das Hautbild und die Stimmung besser sind, steigt Progesteron zur zweiten Zyklusphase hin an und bereitet den Körper auf eine Schwangerschaft vor. Bei manchen Menstruierenden ist der Progesteron-Spiegel im Verhältnis zum Östrogen zu niedrig, woraus unter anderem die klassischen PM(D)S-Symptome resultieren können.
Anne Lippold entwickelte sich aus eigener Leidensgeschichte heraus zu einer der ersten und inzwischen führenden Expertinnen Deutschlands für PMS und Menstruationsbeschwerden. Als Zyklus-Coach berät sie zu allen Themen der Zyklusgesundheit, wie Regelschmerzen, Stimmungsschwankungen, Verhütungs- und Kinderwunsch.
PMS – das prämenstruelle Syndrom
Auch wenn im allgemeinen Sprachgebrauch „PMS“ als geflügeltes Wort für alle Zyklusbeschwerden vor der Menstruation verwendet wird, nimmt man es im klinischen Setting etwas genauer. Prof. Dr. Stephanie Krüger unterscheidet PMS und PMDS – die prämenstruelle dysphorische Störung. Mit PMS sind streng genommen nur die körperlichen Symptome gemeint, der Zusatz „dysphorisch“ bedeutet, „die betroffene Frau hat auch seelische Symptome. Im amerikanischen Diagnose-System für psychiatrische Krankheiten, dem DSM-V, ist die PMDS sogar enthalten.“ Doch das bedeutet nicht, dass jede Menstruierende mit Stimmungsschwankungen gleich eine ausgeprägte krankheitswertige Störung aufweist, denn es ist immer eine Frage des Ausprägungsgrades. „Der Kernbereich derjenigen Frauen*, die solch starke Symptome haben, dass sie vor lauter Impulsivität Probleme in der Partnerschaft, der Arbeit oder gar mit dem Gesetz bekommen, oder in der zweiten Zyklusphase ihren Alltag kaum noch bewältigen können, beträgt ca. 7%“.
Doch auch bei Menstruierenden, die weniger stark betroffen sind, besteht oft ein Leidensdruck. Wenn man vor den Tagen unter Wassereinlagerungen oder Verstopfung leidet, oder während der Menstruation starke Schmerzen hat, kann auch das den gewohnten Alltag subjektiv stark beeinträchtigen. Prof. Dr. Krüger empfiehlt bei leichteren Wassereinlagerungen Brennnesseltee zu trinken, in schweren Fällen benötige es durchaus auch mal eine Entwässerungs-Medikation, und bei Regelschmerzen könne man Ibuprofen nehmen. „Die körperlichen Symptome bekommt man mittlerweile gut in den Griff, das ist ja alles händelbar. Die größeren Probleme machen tatsächlich die psychischen Beschwerden.“
Prof. Dr. Stephanie Krüger ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Psychoonkologin und Gender Medizinerin. Zudem leitet sie das Departments für seelische Gesundheit an den Vivantes Klinika ‚Klinikum Spandau‘ und ‚Humboldt Klinikum‘ in Berlin und etablierte in beiden Häusern ein Zentrum für seelische Frauengesundheit (2011 Humboldt Klinikum und 2019 Klinikum Spandau).
Antibabypille gegen PM(D)S – Ja oder Nein?
Manche Ärtz:innen empfehlen Menstruierenden, gegen Zyklusbeschwerden die Antibabypille einzunehmen. Denn in den meisten Fällen unterdrückt diese den körpereigenen Zyklus komplett, und die relevanten Hormone werden nur noch über die Dosierung des jeweiligen Präparats reguliert. Prof. Dr. Krüger berichtet jedoch, dass bestimmte Antibabypillen-Präparate die psychischen Beschwerden sogar noch verschlimmern können. „Viele Präparate enthalten kein echtes Progesteron, sondern sogenannte Gestagene. Progesteron ist in abgewandelter Form unerlässlich für die Funktion vieler Botenstoffe im Gehirn, deren Aufgabe es ist, Stimmung, Schlaf und viele andere Funktionen zu regulieren. Gestagene gehen zwar auch ins Gehirn, dort sind sie aber eine ‚Fehlbesetzung‘ und konkurrieren mit dem eigentlichen Helfer dieser Botenstoffe. Somit können seelische Symptome durch manche Pillen sogar verschlimmert werden.”
Bei schweren Fällen kann es sinnvoll sein, in der kritischen Phase, also der zweiten Zyklusphase, reines Progesteron zu geben, um das körpereigene Defizit auszugleichen. Dabei ist zu beachten, dass es manchmal vorkommen kann, dass PMDS auch durch Progesteron verschlimmert wird: ”Das kann man vorher nicht wissen, muss es also zunächst ausprobieren.” Die Gabe reinen Progesterons sollte nicht zusätzlich zu einer Verhütung mit der Antibaby-Pille erfolgen. Generell sollten individuelle Therapiemöglichkeiten immer mit dem/der jeweiligen Gynäkolog:in abgeklärt werden.
Eines der Probleme sieht Prof. Dr. Krüger darin, dass gerade hier in Deutschland die zuständigen Ärtz:innen oft nicht genügend Bewusstsein für dieses Thema haben. “In anderen Ländern ist das anders. Da wird ‘Women’s Mental Health’ großgeschrieben, Sie können dort in die PMDS-Klinik gehen und werden voll umfassend beraten. Hier in Deutschland muss man sich quasi noch rechtfertigen.” Zu oft bekommen Patient:innen das Gefühl vermittelt, nicht ernst genommen zu werden und gleichzeitig schämen sie sich für ihr Anliegen, aus Angst davor, stigmatisiert oder “abgestempelt” zu werden. “Idealerweise könnten Patient:innen auch hier mit ihren Beschwerden zum Arzt/zur Ärztin gehen und eine adäquate Behandlung erhalten, ohne für ‘verrückt’, ‘krank’ oder ‘neurotisch’ erklärt zu werden. Denn PMDS ist zwar eine Herausforderung, aber mit etwas Geduld wirklich gut behandelbar und es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen!”
Tipps zum Selbermachen
Doch oftmals muss es gar nicht zu einer medikamentösen Therapie kommen. Bei leichteren Beschwerden hat Prof. Dr. Krüger zwei Tipps, die jede Frau* ab 3-4 Tage vor dem Eisprung für sich leicht umsetzen kann. “Erstens sollte man möglichst Produkte in der Ernährung vermeiden, die pflanzliche Östrogene beinhalten, also am besten Sojaprodukte und zum Beispiel auch Bier vom Speiseplan streichen. Außerdem sollte man in dieser Zeit auf rotes Fleisch verzichten, das ist nämlich ein richtiger Progesteron-Fresser. Und das Zweite ist, so banal das jetzt klingen mag, Ausdauersport. Auf einem moderaten Level, 2-3 Mal die Woche reicht schon, um nachweislich die Progesteron-Produktion anzukurbeln. Aber man muss es konsequent machen.”
Signale des Körpers wieder verstehen lernen
Auch Anne Lippold unterstützt einen nicht-medikamentösen Ansatz. Für sie ist das Wichtigste, was sie den Frauen* in ihren Coachings mitgeben will, den Schmerz oder andere Zyklus-Beschwerden als ein Feedback an uns selbst zu sehen. “Es gibt keinen anderen gesunden Prozess im Körper, der regelmäßig Schmerzen macht, und von dem wir sagen würden ‘Okay, das gehört halt dazu’. Schmerzen sind ein wichtiges Signal vom Körper, das uns sagt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Schmerzen sendet der Körper aus, um uns zum Handeln oder zur Unterlassung aufzufordern. Darum bin ich der Meinung, eine gesunde Frau und ein gesunder Zyklus macht keine Beschwerden.” Dabei spricht sie aus eigener Erfahrung, denn sie selbst habe jahrelang mit starken Regelschmerzen und anderen Beschwerden zu kämpfen gehabt. Leider wird hier häufig, übrigens auch von Ärzt:innen, der Fehler begangen, etwas als “normal” anzusehen, nur weil es häufig vorkommt. “Doch ich habe mich inzwischen komplett schmerzfrei gekriegt und habe das seitdem bei vielen anderen Frauen* auch schon geschafft.” Dabei sieht sie einen wichtigen Punkt darin, wieder mehr auf die Signale zu hören, die der Körper einem mitteilt. “Über den Zyklus hinweg schwankt unser Schlafbedürfnis, unser Kalorienbedürfnis, unser Energielevel – und darauf gilt es wieder vermehrt Rücksicht zu nehmen. Wieder mehr hinzuspüren, was tut mir eigentlich gut? Was brauche ich gerade? Und wann ist es mir vielleicht zu viel? So kann ich mich selbst Stück für Stück besser kennenlernen, den eigenen Körper kennenlernen, meine Bedürfnisse kennenlernen, um dann auch danach zu handeln”. Dies wirkt sich dann nicht nur auf die körperlichen Beschwerden positiv aus, sondern auch auf Stimmungsschwankungen, und andere seelische Beschwerden.
Periode – Nein Danke?
Und dann spielt natürlich auch die Psyche eine Rolle. Denn Gedanken und Gefühle beeinflussen wiederum auch unsere Hormone und das Zentrale Nervensytem. “Schon wenn man das Wort ‘Menstruation’ sagt, und Frauen* dann fragt, was sie dabei fühlen, merken viele, dass sie eigentlich Angst davor haben und direkt total verkrampfen”, erzählt Lippold. Diese Angst kommt nicht von ungefähr; viele Menstruierende haben bereits in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass sie mitten in der Schule, auf der Arbeit oder in anderen ungünstigen Situationen von Regelschmerzen übermannt wurden. Geichzeitig wird man vom Umfeld nicht richtig ernst genommen, vielleicht schämt man sich sogar noch, das Thema “Periode” überhaupt anzusprechen. Dass bei solchen Erfahrungen nicht unbedingt Freude für die nächste Periode aufkommt, kann Anne Lippold gut nachvollziehen. Dennoch ist sie der Überzeugung, dass schon die Angst vor der Menstruation einen Teil des Problems darstellt, und sich durch die körperliche Verkrampfung die Regelschmerzen noch verstärken können.
Körper und Geist sind eine Einheit
Darum empfiehlt sie Menstruierenden, verschiedene Entspannungsmethoden auszuprobieren, wie z.B. Atemübungen, um wieder in eine tiefe Bauchatmung zu kommen, oder auch Meditation, Progressive Muskelrelaxation oder Visualisierungen. Diese zählt sie zu den Sofortmaßnahmen, die man ergreifen kann, wenn man akute Regelschmerzen hat. Der zweite Schritt wäre die Prävention, um auf Dauer auch den emotionalen Symptomen beizukommen und die Schmerzen im besten Fall vorab schon zu verhindern. Mit Prävention meint Anne Lippold konkret, mal zu schauen, wie der vergangene Zyklus denn verlaufen ist: “Habe ich auf mich, auf meinen Körper, auf meine mentalen Grenzen geachtet? Was kann ich vielleicht im nächsten Zyklus anders machen?” Ein gutes Stressmanagment, und regelmäßige Erholungspausen mehrmals am Tag gehören genauso dazu wie eine gesunde Ernährung. Das bedeutet, eine abwechslungsreiche Ernährung mit guten Fetten und viel Eiweiß. Und auch sie empfiehlt: Bewegung! “Nicht zu viel, und nicht zu wenig. Also eigentlich alles, was wir eh schon 100 Mal gehört haben, was unserem Körper und auch unserem Geist gut tut! Das gilt es natürlich auch ein bisschen auszuprobieren, was wirkt bei mir und was nicht.” Und auch Anne Lippold betont hier nochmal: “Konsequent dran bleiben, und nicht aufgeben, denn es kann schon mal 2-3 Zyklen dauern, bis man Erfolge sieht. Wir haben ca. 480 Mal unsere Periode, von daher lohnt es sich wirklich, diese Zeit in uns und unsere Zyklusgesundheit zu investieren!”
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*Mit ‚Frauen*‘ beziehen wir uns in diesem Artikel auf alle weiblich gelesenen und/oder identifizierten Personen
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