Teil 4 unserer Serie zur Epigenetik | Das biologische Alter bestimmen

Ein neuer epigenetischer Test kann das biologische Alter von Menschen erstaunlich genau bestimmen. Seit 2011 wird dieser Test von Forschern stetig verfeinert.  Eine wichtige Rolle spielt dabei ein Algorithmus, der als „Horvath’s Uhr“ bekannt wurde.

Über einen Selbstversuch und seinen wissenschaftlichen Hintergrund.

Vor fast vier Jahren feierte ich meinen fünfzigsten Geburtstag. Es war ein tolles Fest, ein wunderbarer Tag, viele Freunde und Familienmitglieder freuten sich mit mir. Ich war glücklich und zufrieden, wähnte ich mich doch im besten Alter und konnte gleichzeitig bereits auf ein halbwegs erfülltes Leben zurückblicken. Doch unlängst kamen mir Zweifel. Was wäre, wenn mein kalendarisches Alter vom biologischen abweicht? Vielleicht bin ich viel älter, als ich sein sollte? Vielleicht aber auch jünger? Wer weiß das schon.

Diese Fragen interessieren viele Menschen meines Alters nicht etwa aus Eitelkeit, sondern weil sie sich gleich zwei Antworten auf einmal erhoffen, die im sechsten Lebensjahrzehnt allmählich essenziell werden: Habe ich im bisherigen Leben für meine Gesundheit manches richtig gemacht? Und: Wie lange habe ich vermutlich noch zu leben?

Neuer Test zur Altersbestimmung

Seit Herbst 2018 gibt es einen Test, der einem diese Fragen ein Stück weit beantworten will. Er kann das biologische Alter laut Angaben der Hersteller auf plus/minus 2,5 Jahre genau berechnen. Das wäre erstaunlich gut und überträfe alle bisherigen Methoden zur Altersbestimmung von Menschen – vor allem auch die zuletzt in Studien meist benutzte Messung der Länge der Telomere, also der molekularbiologischen Schutzkappen an den Enden unserer Chromosomen.

Der neue Test verrät uns letztlich, wie rasch wir im Laufe des bisherigen Lebens gealtert sind und vermutlich weiter altern werden. Sind wir dabei schneller als der Durchschnitt, ist unser biologisches Alter höher als das kalendarische, und unsere Lebenserwartung ist vermindert. Altern wir aber langsamer, sind wir eigentlich jünger als im Pass steht und dürfen darauf hoffen, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit besonders lang zu leben.

Aber der Reihe nach, denn wie es zu diesem Test kam, ist eine lange Geschichte. Und es ist eine Erfolgsgeschichte. Denn sie handelt von einem völlig neuen wissenschaftlichen Ansatz, der die biomedizinische und psychologische Forschung verändern wird.

Erster Algorithmus zur Altersfeststellung

Die Geschichte des neuen Tests beginnt im Jahr 2011 mit einer Veröffentlichung von Forschern  der University of California. Sie stellen darin einen Algorithmus vor, der das Muster bestimmter epigenetischer Veränderungen am Erbgutmolekül DNA von Zellen aus einer simplen Speichelprobe benutzt, um das Alter des zugehörigen Menschen zu bestimmen. Die Methode eigne sich für kriminaltechnische Untersuchungen, wenn man zum Beispiel das Alter eines Täters oder eines Opfers nicht kenne, schreiben die Autoren. Außerdem helfe das Verfahren vielleicht, das Risiko eines Menschen für altersbedingte Krankheiten besser abzuschätzen.

Aber was haben die Kalifornier genau untersucht? Was sind überhaupt epigenetische Strukturen?

Im Laufe unseres Lebens lagern Enzyme mehr oder weniger systematisch kleine chemische Gruppen aus einem Kohlenstoff-​ und drei Wasserstoffatomen an die DNA an. Diese Methylgruppen binden immer nur an eine der vier Basen der DNA, Cytosin genannt. Man nennt das Ganze dann DNA-​Methylierung, und es hat eine wichtige biologische Funktion. Denn das Muster der DNA-​Methylierungen in einer Zelle entscheidet gemeinsam mit anderen epigenetischen Markierungen darüber, welche ihrer rund 23.000 Gene die Zelle benutzen kann und welche nicht.

Forscher entwickeln Formel zur Bestimmung des Alters

Epigenetische Markierungen greifen den Forschungen zufolge in die Regulation der Gene ein, nicht aber in die Gene selbst. Sie sind deshalb auch nicht starr, wie die DNA, die die Baupläne für Proteine codiert, sondern potenziell reversibel. Dadurch können sich Lebewesen oft erstaunlich gut und flexibel an schwankende Umweltbedingungen anpassen. Sie bauen die Epigenome in ihren Zellen um und wandeln so ihren Zellstoffwechsel, ohne die eigentliche Erbsubstanz – die DNA – verändern zu müssen.

Die DNA-Methylierung verändert sich natürlich nicht nur als Reaktion auf Umwelteinflüsse oder den Lebensstil. Manchmal wandelt sie sich auch zufällig. Vor allem aber verändert sie sich ein Stück weit ganz systematisch im Laufe des Lebens. Das muss so sein, denn auf diesem Wege regelt die Epigenetik die biologische Entwicklung eines Lebewesens aus der befruchteten Eizelle bis hin zum erwachsenen Menschen mit seinen rund 300 Gewebe-Typen und 30 Billionen Körperzellen. Und womöglich geht diese Entwicklung weiter bis ins hohe Alter.

Genau deshalb, weil sich unser DNA-Methylierungsmuster teils systematisch mit dem Al­tern wan­delt, wur­den die For­scher aus Ka­li­for­ni­en fün­dig. In ihrer ers­ten Stu­die füt­ter­ten sie ihre Com­pu­ter mit Daten über die Epi­ge­no­me ei­ni­ger Per­so­nen, deren ka­len­da­ri­sches Alter sie kann­ten. Zu­nächst ana­ly­sier­ten sie 34 Paare ein­ei­iger Zwil­lin­ge, da­nach noch 60 ge­wöhn­li­che Men­schen. Schlie­ß­lich fil­ter­ten ihre Re­chen­ma­schi­nen aus dem chao­tisch an­mu­ten­den Wust von In­for­ma­tio­nen ein paar Stel­len am Erb­gut her­aus, wo es sich of­fen­bar lohn­te, etwas ge­nau­er hin­zu­schau­en, ob dort Me­thyl­grup­pen an­ge­la­gert sind oder nicht. Schlie­ß­lich ent­wi­ckel­ten die For­scher eine For­mel, die ihnen half, aus dem epi­ge­ne­ti­schen Mus­ter die­ser Stel­len das Alter eines Men­schen ab­zu­lei­ten.

Da es sich dabei um den Durch­schnitts­wert vie­ler Men­schen han­delt, ent­spricht das bio­lo­gi­sche dem ka­len­da­ri­schen Alter. So ist das bio­lo­gi­sche Alter schlie­ß­lich de­fi­niert: Es ist der na­tür­li­che Zu­stand, der jenem eines durch­schnitt­li­chen Men­schen glei­chen Al­ters ent­spricht. Wen­det man den Test aber auf eine ein­zel­ne Per­son an, spie­gelt das Re­sul­tat nur deren bio­lo­gi­sches Alter. Weil die­ses bei ge­sun­den Men­schen aber immer in der Nähe des tat­säch­li­chen Al­ters liegt, wer­den sol­che Tests in­zwi­schen tat­säch­lich kri­mi­no­lo­gisch ein­ge­setzt.

Horvaths Uhr

Horvaths Uhr
Bildquelle: Holger Heyn et al.: Distinct DNA methylomes of newborns and centenarians. PNAS 109, 26.06.2012, S. 10522-10527.

Da­mals im Jahr 2011, bei Ver­öf­fent­li­chung des ers­ten Tests, waren die Pro­banden­grup­pe klein und das Ver­fah­ren recht un­ge­nau. Rein rech­ne­risch konn­te man die Zu­ver­läs­sig­keit auf einen Be­reich von fünf Jah­ren über und unter den tat­säch­li­chen Al­ters­an­ga­ben be­gren­zen. Doch nur zwei Jahre spä­ter, am 21. Ok­to­ber 2013, ver­öf­fent­lich­te der Bio­sta­tis­ti­ker Steve Hor­vath im Fach­blatt Ge­no­me Bio­lo­gy einen Al­go­rith­mus, der mitt­ler­wei­le als „Hor­vat­hs Uhr“ oder auch als epi­ge­ne­ti­sche Uhr be­rühmt ge­wor­den ist.

Hor­vath hatte das Me­thy­lie­rungs­mus­ter von 8.000 Men­schen er­fasst und schlie­ß­lich 353 Stel­len ein­krei­sen kön­nen, deren „Me­thy­lie­rungs­sta­tus“ – also die Ant­wort auf die Frage: Me­thyl­grup­pe an­ge­la­gert oder nicht? – den Al­go­rith­mus zur Be­rech­nung des Al­ters immer wei­ter ver­fei­ner­te. Eine Ana­ly­se all die­ser 353 DNA-​Stellen ge­mein­sam er­fasst das bio­lo­gi­sche Alter eines Men­schen auf plus/minus 3,6 Jahre genau. Das war da­mals eine Sen­sa­ti­on.

Fast noch wich­ti­ger als der ei­gent­li­che Test ist der Um­stand, dass Hor­vath seine Me­tho­den und Re­sul­ta­te voll­stän­dig öf­fent­lich mach­te. Seit­dem ar­bei­ten Wis­sen­schaft­ler:innen über­all auf der Welt daran, die Me­tho­dik wei­ter zu ver­fei­nern. Ein noch ge­naue­rer und preis­güns­ti­ge­rer Test auf das bio­lo­gi­sche Alter würde viele Men­schen, aber auch Wis­sen­schaft­ler und Me­di­zi­ner in­ter­es­sie­ren. Es geht in­zwi­schen um viel Geld. Und das be­hin­dert den wis­sen­schaft­li­chen Aus­tausch na­tür­lich auch. Denn es wer­den Fir­men ge­grün­det, Pa­tent­schrif­ten vor­be­rei­tet, doch so­lan­ge nichts pa­ten­tiert ist, wird auch alles ge­heim ge­hal­ten.

Fraunhofer-​Institut entwickelt ver­bes­ser­ten Test

Ein Schweriner Diagnostik-Unternehmen und Ex­per­ten des Fraunhofer-​Instituts für Mo­le­ku­lar­bio­lo­gie und An­ge­wand­te Öko­lo­gie in Ham­burg  entwickelten ein ei­ge­nes, op­ti­mier­tes Ver­fah­ren, das auf den Ideen Hor­vat­hs zwar auf­baut, aber neue­re Daten und ei­ge­ne Al­go­rith­men zu­grun­de legt. Seit Ende 2018 ist nun der Ge­ne­tic Age Test er­hält­lich. Es ist zu­min­dest hier­zu­lan­de der erste öf­fent­lich zu­gäng­li­che Test die­ser Art.  Wer diesen nutzen möchte, kann kostenpflichtig eine Speichelprobe einsenden und erhält drei bis vier Wochen später einen Ergebnisbericht. Die Daten wer­den auch für das La­bor­per­so­nal ver­schlüs­selt, an­geb­lich bes­tens ge­schützt und sie wer­den nicht an Drit­te wei­ter­ge­ge­ben. Auch am Fraunhofer-​Institut selbst darf mit ihnen nicht ge­forscht wer­den.

Der Test verwendet mit dem Alter assoziierte epigenetische Markierungen, von denen drei Vier­tel noch nicht von Horvath be­schrie­ben wor­den sind. Dar­un­ter seien „auch we­sent­lich re­le­van­te­re“ ge­we­sen. Schlie­ß­lich habe man einen Al­go­rith­mus ent­wi­ckelt, der zwar nur 140 die­ser Stel­len aus­wer­tet, aber das Alter prä­zi­ser vor­her­sa­gen kann als Hor­vat­hs Uhr: auf plus/minus 2,5 Jahre genau.

She­raz Gul vom Fraunhofer-​Institut, der die Spei­chel­pro­ben mit sei­nem Team aus­wer­tet, erklärt, dass man  sehr viele öf­fent­lich zu­gäng­li­che epi­ge­ne­ti­sche Daten durch­fors­te und das Mo­dell und die Al­go­rith­men ste­tig op­ti­mie­re. „Schon bald wer­den wir noch viel prä­zi­se­re Vor­her­sa­gen tref­fen kön­nen“, so Gul. Gleich­zei­tig wür­den Auf­wand und Kos­ten sin­ken.

Zu­nächst geht es aber auch hier, beim Ge­ne­tic Age Test, darum, ein Pa­tent an­zu­mel­den. Erst dann wer­den die Er­kennt­nis­se unter Um­stän­den pu­bli­ziert. Vor­erst kön­nen wir die An­ga­ben der Test-​Entwickler also nur glau­ben. Da die zu­grun­de lie­gen­de Me­tho­de von Steve Hor­vath aber schon gut be­schrie­ben wurde, wis­sen­schaft­lich so­li­de er­scheint und zu­min­dest in Tier­ver­su­chen von vie­len For­schern auf der Welt schon mehr­fach re­pro­du­ziert wer­den konn­te, er­schei­nen die An­ga­ben aus dem Fraunhofer-​Institut durch­aus ver­trau­ens­wür­dig.

Auch die Wis­sen­schaft pro­fi­tiert

Schon heute pro­fi­tiert die Wis­sen­schaft von dem neuen Test aus Ham­burg und Schwe­rin. „Es gibt ein Pro­jekt in der Fraunhofer-​Gesellschaft, in dem wir uns ge­nau­er an­schau­en, wel­che Gene jene epi­ge­ne­ti­schen Mar­ker re­gu­lie­ren, die be­son­ders stark mit der Al­te­rung kor­re­liert sind“, sagt She­raz Gul. Dann suche man in Da­ten­ban­ken nach Sub­stan­zen, die die epi­ge­ne­ti­schen Ver­än­de­run­gen an die­sen Stel­len auf­hal­ten oder brem­sen wür­den. Auch wenn der Test keine kau­sa­len Zu­sam­men­hän­ge misst, so ist es nicht un­wahr­schein­lich, dass die mehr oder we­ni­ger star­ke Ak­ti­vi­tät zu­min­dest man­cher die­ser Gene das Al­tern ver­än­dert. In die in­vol­vier­ten Stoff­wech­sel­pro­zes­se könn­ten des­halb auch zu­künf­ti­ge Anti-​Aging-Substanzen oder Me­di­ka­men­te gegen Al­ters­krank­hei­ten ein­grei­fen.

Rund um den Glo­bus wird auch die von Steve Hor­vath ent­wi­ckel­te erste epi­ge­ne­ti­sche Uhr in­zwi­schen von vie­len Ar­beits­grup­pen ein­ge­setzt, um zu mes­sen, wel­chen Ein­fluss be­stimm­te Le­bens­stil­fak­to­ren auf die Ge­schwin­dig­keit un­se­res Al­terns haben. Eine viel be­ach­te­te, wegen ihrer ge­rin­gen Größe al­ler­dings nicht allzu aus­sa­ge­kräf­ti­ge Stu­die zeigt, in wel­che Rich­tung diese For­schung geht: Ra­phaël­le Chaix und Kol­le­gen fan­den Hin­wei­se, dass Men­schen, die re­gel­mä­ßig me­di­tie­ren, zu­min­dest im hö­he­ren Alter etwas lang­sa­mer al­tern als nicht me­di­tie­ren­de Men­schen. Au­ßer­dem wer­den die Me­di­tie­ren­den of­fen­bar umso lang­sa­mer älter, je län­ger sie die Tech­nik be­reits aus­üben.

Steve Hor­vath hat die Zei­ger der Le­bens­uhr ge­fun­den

Vie­les spricht dafür, dass Steve Hor­vath tat­säch­lich so etwas wie die Zei­ger der Le­bens­uhr ge­fun­den hat. Nicht we­ni­ge Ex­per­ten gehen sogar davon aus, dass die sys­te­ma­ti­schen epi­ge­ne­ti­schen Wand­lun­gen sehr viel mehr als eine pas­si­ve Folge des Al­terns sind, wie Skep­ti­ker noch immer ver­mu­ten. Epi­ge­ne­ti­sche Ver­än­de­run­gen schei­nen das Al­tern auch ein Stück weit zu steu­ern. Das hieße, es gebe nicht nur eine Kor­re­la­ti­on zwi­schen Alter und Epi­ge­nom – was längst un­be­strit­ten ist und für die Mes­sung des bio­lo­gi­schen Alters ge­nü­gen würde -, son­dern auch einen kau­sa­len Zu­sam­men­hang. Ob das stimmt, und ob man damit wo­mög­lich Zu­griff auf einen po­ten­zi­el­len Jung­brun­nen er­hält, ist eine der span­nends­ten Fra­gen für die Zu­kunft der Al­terns­for­schung.

Schon heute ist klar, dass alle For­scher:innen, die sich mit der bio­lo­gi­schen Ent­wick­lung, mit der Aus­dif­fe­ren­zie­rung oder Zu­rück­pro­gram­mie­rung von Ge­we­ben und Zel­len, aber auch mit deren Ent­ar­tung zu Krebs be­schäf­ti­gen, die epi­ge­ne­ti­sche Uhr mit Freu­den ein­set­zen wer­den. Man weiß in­zwi­schen zum Bei­spiel, dass Krebs­zel­len bio­lo­gisch um Jahre bis Jahr­zehn­te ge­al­tert sind. Ge­län­ge es, sie zu ver­jün­gen, wür­den sie viel­leicht auch wie­der an­greif­ba­rer.

Die gra­vie­rends­ten Fol­gen für uns per­sön­lich dürf­te die neue Me­tho­de aber tat­säch­lich in dem Mo­ment haben, wenn wir sie auf uns selbst an­wen­den. Sie ver­rät uns etwas, was wir viel­leicht gar nicht so genau wis­sen wol­len. Wie alt sind wir wirk­lich? Wie lange haben wir noch zu leben? Sind wir ge­sund? Leben wir über­haupt auf die rich­ti­ge Weise – was auch immer das sein mag?

Selbst­ver­ständ­lich darf nie­mand zu der Ana­ly­se ge­zwun­gen wer­den. Wer den Test macht, er­fährt oh­ne­hin wenig kon­kre­tes. Aber das Re­sul­tat rührt an etwas ganz Grund­sätz­li­chem: Das bio­lo­gi­sche Alter gibt uns Hin­wei­se dar­auf, ob das Leben auf einem eher guten oder auf einem we­ni­ger guten Gleis ver­läuft. Diese Kennt­nis kann uns hel­fen, uns in eine po­si­ti­ve Rich­tung zu ver­än­dern, Wei­chen um­zu­stel­len. Oder sie kann uns be­stä­ti­gen, wei­ter­hin einen ge­sun­den Le­bens­stil zu füh­ren. Sie könn­te uns aber auch mo­ti­vie­ren, un­ge­sun­de Ge­wohn­hei­ten ab­zu­stel­len, etwa mit dem Rau­chen auf­zu­hö­ren, Hilfe im Kampf gegen star­kes Über­ge­wicht zu su­chen oder sich bei­spiels­wei­se beim Al­ko­hol­kon­sum zu mä­ßi­gen.

Und wie alt bin ich nun?

An die­sem Punkt komme ich nun end­lich zu mei­nem ei­ge­nen Test zu­rück. Um ehr­lich zu sein: Meine Sorge, ich könne deut­lich älter sein als ge­dacht, war an­fangs ge­ring. Ich rau­che schon seit Ewig­kei­ten nicht mehr, trei­be sehr viel Sport, schla­fe meist aus­rei­chend und er­hol­sam, bin nor­mal­ge­wich­tig, und meine Fa­mi­lie und ich ko­chen ab­wechs­lungs­reich mit fri­schen, noch nicht wei­ter­ver­ar­bei­te­ten Le­bens­mit­teln. All das sind wich­ti­ge, das Al­tern brem­sen­de Le­bens­stil­fak­to­ren. So viel ist längst be­kannt.

Aber es gibt na­tür­lich auch noch eine Menge an­de­rer Fak­to­ren: Der streng erb­li­che Text der Gene spielt im Al­te­rungs­pro­zess zu etwa zwan­zig Pro­zent eine Rolle, der Zu­fall mischt eben­falls mit. Nicht zu ver­ges­sen sind auch Ein­flüs­se wie Dau­er­stress und Krank­hei­ten sowie die Prä­gung im Mut­ter­leib und in der frü­hen Kind­heit, viel­leicht sogar epi­ge­ne­tisch ver­erb­te An­pas­sun­gen der Vor­fah­ren. Es gibt wohl kaum ein kom­ple­xe­res Merk­mal als die Le­bens­er­war­tung.

Ent­spre­chend hart würde mich ein ne­ga­ti­ves Re­sul­tat tref­fen. Ich mache doch schon so viel rich­tig? Wieso spielt mir das Schick­sal die­sen Streich? Zum Glück weiß ich auch, dass Ge­sund­heit ein Pro­zess ist, den ich je­der­zeit be­ein­flus­sen kann – auch noch nach einem un­er­freu­li­chen Test­ergeb­nis. (Im­mer­hin habe ich dar­über ein gan­zes Buch ge­schrie­ben: Ge­sund­heit ist kein Zu­fall.) Also ent­schied ich mich für den Test. Ein ne­ga­ti­ves Re­sul­tat würde mich mo­ti­vie­ren, mehr zu tun. Davon schien ich über­zeugt. Aber ganz si­cher war ich mir an die­sem Punkt na­tür­lich nicht.

Umso bes­ser, dass es nicht so weit kam. Als ich den Er­geb­nis­be­richt erhalte, sind Freu­de und Er­leich­te­rung groß. Ich habe den fünf­zigs­ten Ge­burts­tag viel zu früh ge­fei­ert, denn bio­lo­gisch be­trach­tet, war ich da­mals erst 45. Im Er­geb­nis­be­richt steht: „Ihr  Ge­ne­tic Age lau­tet 49 Jahre – minus 5 Jahre Un­ter­schied ge­gen­über Ihrem ka­len­da­ri­schen Alter von 54 Jah­ren.“ Ich al­te­re rund zehn Pro­zent lang­sa­mer als der im glei­chen Jahr ge­bo­re­ne Durch­schnitts­deut­sche. Mache ich so wei­ter, spricht ei­ni­ges dafür, dass ich auch zehn Pro­zent älter werde.

Sehr wahr­schein­lich läuft in mei­nem Leben also vie­les rich­tig. Was für eine gute Nach­richt! Sie un­ter­stützt mich un­ge­mein, in Sa­chen Ge­sund­heit dran­zu­blei­ben – ein­fach wei­ter zu ma­chen mit mei­nem teil­wei­se etwas an­stren­gen­den Le­bens­stil. Es fällt ja nicht an jedem Mor­gen leicht, sich auf­zu­raf­fen und eine Runde lau­fen zu gehen oder an so man­chem Abend das Des­sert weg­zu­las­sen oder kei­nen Al­ko­hol zu trin­ken.

Der Er­geb­nis­be­richt ist man­gel­haft

Doch es gibt ein Pro­blem: Men­schen, die mit der Ma­te­rie we­ni­ger gut ver­traut sind als ich, wer­den den Be­richt nicht rich­tig in­ter­pre­tie­ren kön­nen. Es gibt lei­der kei­nen Hin­weis auf die Ge­nau­ig­keit. Nir­gends steht, dass die An­ga­be des bio­lo­gi­schen Al­ters mit einer ge­wis­sen sta­tis­ti­schen Un­si­cher­heit nur für einen Be­reich von plus/minus 2,5 Jah­ren rings um den an­ge­ge­ben Wert gilt. Ich weiß, dass ich laut Test nicht bio­lo­gisch 49 Jahre alt bin, son­dern ir­gend­wo im Be­reich zwi­schen 46,5 und 51,5 Jah­ren. Warum der Testanbieter das Re­sul­tat seinen Kun­den nicht auf diese, sehr viel ehr­li­che­re Art prä­sen­tiert, ver­ste­he ich nicht. Es kann doch kaum sein, dass sie ihre Ziel­grup­pe der­art un­ter­schätzt, dass sie ihr diese Wahr­heit nicht zu­mu­ten möch­te? Im­mer­hin ge­lobt die Firma an die­sem Punkt Bes­se­rung, wie ich auf Nach­fra­ge er­fah­re. Die Er­geb­nis­be­rich­te sol­len dem­nächst über­ar­bei­tet wer­den.

Kaum ernst zu neh­men ist der zwei­te Teil des Er­geb­nis­be­richts. Par­al­lel zur Ab­ga­be der Spei­chel­pro­be soll­te ich auf der Web­sei­te der Firma ein paar Fra­gen zu mei­nem Le­bens­stil be­ant­wor­ten. Aus den Ant­wor­ten kon­stru­ierte diese nun etwas, was mir als „die Ur­sa­chen für Ihr Er­geb­nis“ ver­kauft wird. Das ist haar­scharf un­se­ri­ös, auf jeden Fall frag­wür­dig. Die Ana­ly­se be­schränkt sich auf sehr all­ge­mei­ne An­ga­ben zu den The­men­kom­ple­xen Er­näh­rung, Um­welt und Ge­sund­heit. Für jede Ru­brik wer­den mit Bezug auf meine Ant­wor­ten ein paar ver­meint­lich ne­ga­ti­ve und po­si­ti­ve Ein­flüs­se auf­ge­lis­tet. Hinzu kommt pro Ru­brik ein simp­ler, schein­bar wahl­lo­ser, nicht in­di­vi­dua­li­sier­ter Tipp, wie ich mein Al­te­rungs­tem­po ver­lang­sa­men kann.

Bei der Prä­sen­ta­ti­on der Test­ergeb­nis­se be­steht also noch gro­ßer Nach­hol­be­darf, vor allem an­ge­sichts des hohen Prei­ses von rund 200 Euro . Aber das än­dert nichts daran, dass es sich um ein wich­ti­ges An­ge­bot für all jene Men­schen han­delt, die schon immer eine Ant­wort auf diese un­er­hört kom­ple­xe und per­sön­li­che Frage such­ten: Bin ich wirk­lich so jung, wie ich mich fühle? Bei mir per­sön­lich pas­sen Er­geb­nis und Ge­fühl je­den­falls ganz gut zu­sam­men.

Was aber mache ich nun mit dem Re­sul­tat? Än­dert es mein Leben? Wahr­schein­lich nicht, zumal es ja po­si­tiv ist. Ich bin froh über die jet­zi­ge Si­tua­ti­on. Aber ich weiß auch, dass sich die Um­stän­de je­der­zeit än­dern kön­nen. Und ich weiß, da exis­tiert auch noch die­ser ver­damm­te Fak­tor Zu­fall. Viel­leicht nicht in Sa­chen Ge­sund­heit: Diese ist ein Pro­zess, den ich ein Stück weit sel­ber steu­ern kann. Aber be­stimmt in Sa­chen Krank­heit, die nach mei­nem Ver­ständ­nis nicht das Ge­gen­teil oder die Ab­we­sen­heit von Ge­sund­heit ist, wie es viele Me­di­zi­ner be­haup­ten.

Ich werde wei­ter hart daran ar­bei­ten, den Ge­sund­heits­pro­zess in die rich­ti­ge Rich­tung zu len­ken. Ich bin ja nun be­stä­tigt darin, dass ich so mein Al­tern brem­se. Damit ver­rin­ge­re ich auch die Wahr­schein­lich­keit, mit der das zu­fäl­li­ge Er­eig­nis Krank­heit auf­tritt. Soll­te mir das wei­ter­hin ge­lin­gen, dann feie­re ich mei­nen sech­zigs­ten Ge­burts­tag auch noch nicht in sechs Jah­ren – son­dern erst in elf.


Dieser Beitrag ist zuerst bei RiffReporter im Projekt Erbe&Umwelt erschienen und wurde als 4. Teil der Epigenetik-Serie für unseren Blog in einer autorisierten, leicht gekürzten Version übernommen.

Lust auf mehr? Im 3. Teil der Epigentik-Reihe verrät Peter Spork, warum Sport der Schlüssel zu einem gesünderen Leben ist. Jezt lesen: „Wie Sport wirkt“


Mehr von Peter Spork gibt es in diesem Video (von unserem YouTube-Channel).

„Gesundheit ist kein Zufall“ heißt der Vortrag, den er 2019 für die Belegschaft der BKK ProVita hielt und den wir aufzeichnen durften.

Jetzt anschauen!