Teil 13 unserer Serie zur Epigenetik | Wahr oder falsch – was sich hinter hartnäckigen Mythen rund ums Schlafen verbirgt

Forscher der New York University werteten unlängst 8.000 Internetseiten aus und ermittelten die häufigsten Schlafmythen. Dazu zählt der Glaube, fünf Stunden Schlaf seien genug (stimmt für 99 Prozent der Menschen nicht). Wer nachts wach werde, solle liegenbleiben, um rasch wieder einzuschlafen (stimmt zumindest dann nicht, wenn man bereits länger als fünfzehn Minuten wach liegt – dann sollte man lieber aufstehen und sich ablenken). Ein guter Schläfer könne überall und zu jeder Zeit sofort einschlafen (ist im Gegenteil sogar ein Symptom für chronischen Schlafmangel). Und es sei egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit man schlafe (stimmt nicht).

Doch es gibt noch mehr solcher hartnäckiger Schlafmythen. Einige haben einen wahren Kern, andere stimmen gar nicht. Hier unser Faktencheck zu fünf gängigen Beispielen.

Von Peter Spork

Schlafmythos Nr. 1: Man muss jeden Tag zur gleichen Zeit aufstehen und ins Bett gehen

Bestimmen die Arbeitszeiten unseren Schlafrhythmus, schlafen die meisten von uns kürzer und früher als an freien Tagen. Mehr als achtzig Prozent der Bevölkerung stellt sich deshalb an Arbeitstagen einen Wecker. An den freien Tagen schlafen wir anders, nämlich eher so, wie es dem größtenteils genetisch fixierten individuellen inneren Schlaf-Wach-Rhythmus entspricht, dem sogenannten Chronotyp. Es gibt Spätschläfer, Frühschläfer und durchschnittliche Schläfer (siehe dazu auch den Erbe&Umwelt-Artikel „Eule oder Lerche?“).

Die Rhythmus-Verschiebung zwischen Arbeitstag und Wochenende raubt Schlaf und ist ungesund

Schlafforscher Kenneth Wright aus Colorado, USA, und Kollegen fanden in einer aktuellen Studie, heraus, dass der Stoffwechsel leidet und deshalb zum Beispiel das Diabetes-Risiko steigt, wenn wir den Rhythmus wechseln. Es wäre allerdings die verkehrte Reaktion, den Kurzschlaf der Wochentage auf freie Tage auszudehnen und sich auch noch am Wochenende einen Wecker zu stellen. Das Team um Schlafforscherin Elizabeth Klerman, Dallas, USA, zeigte im Jahr 2018, was man bereits aus vielen früheren Analysen wusste: Reaktionszeiten verdoppeln sich, Fehlerraten verfünffachen sich, wenn man über längere Zeit zu kurz schläft. Das Schlimmste dabei: Die Proband:innen selbst merken nichts davon!

Fazit: Möglichst oft ungefähr zur gleichen Zeit zu schlafen, ist sinnvoll – aber nur, wenn es dem individuellen Biorhythmus entspricht und man insgesamt ausreichend schläft. Extra frühes Einschlafen kann man sich nicht antrainieren, wenn es dem Chronotyp widerspricht. Seinen Schlaf auch an freien Tagen mit dem Wecker künstlich zu verkürzen, beeinträchtigt die Gesundheit und Leistungsfähigkeit.

Schlafmythos Nr. 2: Man kann Schlaf am Wochenende nachholen

Weckt uns ein Wecker, sind wir unausgeschlafen. Werktags wächst deshalb unser Schlafdefizit, am Wochenende schlafen wir aus und versuchen, Schlaf nachzuholen.

US-Schlafforscher David Dinges fand heraus, dass ein Zehnstundenschlaf nach einer Fünftagewoche nicht genügt, den schlafmangelbedingten Leistungsabfall des Gehirns zu kompensieren. Für die geistige Fitness wäre es also besser, vier Tage zu arbeiten und drei Tage auszuschlafen, weiß der Schlafforscher Mathias Basner. Diese Aussagen scheinen zudem nicht nur für das Gehirn zu gelten: Der Stoffwechsel reagiert ähnlich. Laut der Studie von Kenneth Wright gelingt es uns nämlich auch nicht, nur durch den Wochenendschlaf unser im Lauf der Woche erhöhtes Diabetesrisiko wieder zu normalisieren.

Fazit: Man kann versäumten Schlaf nicht nur nachholen, man muss es sogar. Selbst schlafmangelgeplagte Würmer oder Fliegen machen das. Ausschlafen am Wochenende ist wichtig, aber das Wochenende ist in der Regel zu kurz. Wer kann, sollte das Wochenende verlängern oder wochentags mehr schlafen.

Schlafmythos Nr. 3: Der Schlaf vor Mitternacht ist der gesündeste

Claudio Bassetti, Schlafmediziner und Direktor der Universitätsklinik für Neurologie am Berner Inselspital, sagt im Interview der NZZ am Sonntag, an diesem Mythos sei etwas dran. Unsere innere Uhr lege ein zeitiges Zubettgehen nahe, und nur, wenn wir dem folgten, würden wir ausreichend schlafen. Doch der Münchner Chronobiologe Till Roenneberg betont, dies gelte nur für frühe Chronotypen. Wegen des modernen Lebensstils falle es der Mehrheit inzwischen schwer, deutlich vor Mitternacht einzuschlafen.

Auf Licht reagiert unser Schlafrythmus deutlich

Der Grund dafür liegt in der Wirkung des Lichts auf unsere innere Uhr: Tagsüber haben wir zu wenig helles Licht, weil wir uns überwiegend in geschlossenen Räumen aufhalten. Abends und nachts bekommen wir dann aber sehr viel Kunstlicht ab, auf das wir zu dieser Uhrzeit besonders empfindlich reagieren. Infolgedessen verschieben sich die inneren Rhythmen, und wir werden immer später schläfrig. Der Schlafforscher Kenneth Wright aus Colorado, USA, zeigte, dass eher spät tickende Menschen, die im Sommer in der freien Natur in lichtdurchlässigen Zelten und ohne jegliches Kunstlicht leben, ihre biologischen Rhythmen binnen kurzer Zeit deutlich nach vorne verlagern. In dieser Situation mag der Schlaf vor Mitternacht also wichtig werden, aber das hat kaum etwas mit dem Alltag der allermeisten heute lebenden Menschen zu tun. Für uns ist es viel wichtiger geworden, den Schlaf morgens weniger stark per Wecker zu begrenzen, sagt deshalb der Chronobiologe Roenneberg.

Der Ursprung des Mythos vom gesunden Vor-Mitternacht-Schlaf liegt ohnehin woanders: Wir bekommen in der ersten Schlafhälfte besonders viel Tiefschlaf. Allerdings ist es völlig egal, ob diese Hälfte vor oder nach Mitternacht liegt.

Fazit: Eigentlich müsste es heißen: Die erste Hälfte des Schlafs ist die gesündeste, nicht der Schlaf vor Mitternacht.

Schlafmythos Nr. 4: Es ist schlimm, wenn man den Schlaf unterbricht

Der US-amerikanische Schlafforscher Tom Wehr publizierte bereits 1992 eine Studie, bei der die Probandinnen und Probanden jede Nacht 14 Stunden im Bett eines abgedunkelten Raums verbringen mussten. Anfangs schliefen sie sehr viel. Dann pendelte sich ihr Pensum auf acht Stunden und 20 Minuten ein. Doch der Schlaf war fragmentiert: Sie schliefen zunächst vier Stunden, lagen dann lange wach, um später den Rest der Zeit zu schlafen. In der Wachphase berichteten sie über ein „glasklares Bewusstsein“, der Zustand sei wunderbar. Alte und kranke Menschen folgen häufig einem ähnlichen Schlafmuster.

Der tägliche Schlafbedarf bleibt gleich

Ein Mittagsschlaf scheint von der Natur ohnehin ein Stück weit in Form des chronobiologischen Tagestiefs programmiert zu sein. Viele  Geschäftsleitende und Sporttreibende schwören zusätzlich darauf, den Schlaf auf mehrere Etappen zu verteilen, damit sie nachts nicht so lange am Stück schlafen müssen. Wichtig ist indes bei allen Versuchen, ein außergewöhnliches Schlafmuster zu erlernen, dass man damit insgesamt keine Schlafenszeit einsparen kann. Das wird zwar oft behauptet, aber der Schlafbedarf – auf 24 Stunden gerechnet – bleibt immer gleich – egal, ob man ihn am Stück befriedigt oder auf mehrere Etappen verteilt. Außerdem wachen auch die gesündesten und besten Schläfer:innen jede Nacht immer wieder auf. Meist fallen sie aber binnen drei Minuten erneut in Schlaf, so dass ihr Gehirn keine Erinnerungen abspeichert.

Fazit: Wenn man keine Schlafstörung hat und sich tagsüber fit und leistungsfähig fühlt, ist es völlig egal, ob man durchschläft oder den Schlaf auf mehrere Etappen verteilt.

Schlafmythos Nr. 5: Leichtes Essen am Abend ist gut für den Schlaf

Schlafmythen: Leichtes Essen am Abend ist gut für den Schlaf

Zeitpunkt und Art des Abendessens kann auf vielfältige Weise die Schlafqualität beeinträchtigen. Wer zu Sodbrennen neigt, sollte zum Beispiel unbedingt jene Speisen meiden, die das Leiden bei ihm oder ihr befördern. Welche das sind, kann individuell allerdings sehr verschieden sein. Dass Menschen mit Schlafproblemen nicht zu kurz vor dem Schlafengehen und nicht zu schwer essen sollten, ist ebenfalls ein allgemein bekannter und wissenschaftlich gut untermauerter Tipp aus dem Bereich der „Schlafhygiene“.

Abends lieber auf proteinreiche Kost setzen

Die „Chronobiologie“ genannte Wissenschaft der inneren Uhren hat in den vergangenen Jahren zudem mit Hilfe von Tierversuchen eine Menge interessanter Hinweise darauf gefunden, dass die Art der Nahrung die Aktivität der Leber sowie das Tempo der inneren Rhythmik beeinflusst und so indirekt auch die Schlafqualität verändern kann. Demnach ist es vor allem wichtig, abends nicht zu viele Kohlenhydrate zu essen, weil der Stoffwechsel zu dieser Zeit schlechter darauf vorbereitet ist, sondern eher auf proteinreiche Kost zu setzen. Besonders fatal sind zudem die kleinen, besonders kohlenhydratreichen Snacks, die wir gerne zusätzlich zwischen dem Abendessen und dem Zubettgehen essen. Sie können bewirken, dass man nachts mit Hunger aufwacht und schlechter wieder einschläft. Menschen, die auf abendliche Snacks verzichten, schlafen nicht nur besser, sie bleiben auch eher schlank.

Fazit: Menschen mit Schlafproblemen sollten abends nicht zu spät und nicht zu schwer essen sowie auf Snacks vor dem Zubettgehen verzichten. Für alle anderen Menschen sind diese Tipps vor allem dann hilfreich, wenn sie schlank bleiben wollen.


 Dieser Beitrag ist zuertst im Themenmagazin Erbe&Umwelt bei RiffReporter erschienen und wurde als 13. Teil der Epigenetik-Serie für unseren Blog in einer autorisierten, leicht gekürzten Version übernommen. 

Quellen und Lesetipps:


Mehr von Peter Spork gibt es in diesem Video (von unserem YouTube-Channel).

„Gesundheit ist kein Zufall“ heißt der Vortrag, den er 2019 für die Belegschaft der BKK ProVita hielt und den wir aufzeichnen durften.

Jetzt anschauen!