Ergotherapeuten helfen individuell und ganzheitlich
Ob nach Unfällen, Krankheit, in Krisen, bei Entwicklungsverzögerungen oder im Alter – Ergotherapeut:innen helfen uns mit den unterschiedlichsten Therapiemitteln und Rehabilitationsmaßnahmen dabei, selbstständig zu bleiben oder zu werden und den Alltag leichter zu bewältigen. Aber was ist Ergotherapie genau? Zeit für ein Berufsporträt über die Multitalente im Gesundheitswesen!
„Ergonomisch“ – das Wort fällt oft, wenn es um einen Büroarbeitsplatz geht: einen rückenfreundlichen, der die Wirbelsäule schont und durch die richtige Positionierung der Arbeitsmittel Haltungsschäden verhindert. Gerade in Zeiten irgendwie eingerichteter Homeoffices ist Ergonomie ein wichtiges Stichwort, und tatsächlich sind es auch Ergotherapeut:innen, die in Betrieben wie zu Hause überprüfen können, ob und wie ein PC-Arbeitsplatz der Gesundheit zuträglicher wäre.
Vom Rezept zur Frage: Was ist Ergotherapie?
Doch wer zum ersten Mal ein Rezept für Ergotherapie, ausgestellt von Ärzt:in oder Psycholog:in, in den Händen hält, hat meist ein anderes Problem. „Ergotherapeut:innen sind auf das Bewältigen von Krisen spezialisiert“, beschreibt Andreas Pfeiffer, Vorsitzender des DVE e. V. (Deutscher Verband Ergotherapie) das Berufsbild. Sie schaffen „die nötigen Voraussetzungen, damit Betroffene bereit und in der Lage sind, ihr bisheriges Leben, alte Gewohnheiten, das häusliche oder Arbeitsumfeld oder was auch immer im Argen liegt, zu verändern, umzugestalten und neue Verhaltensweisen, Tagesabläufe und Routinen zuzulassen“.
Hilfe für alle, angefangen bei Entwicklungsverzögerung von Kindern
Mit Ergotherapie lassen sich bei fast allen Erkrankungen, Behinderungen oder auch Krisensituationen Verbesserungen im Alltag erreichen. Denn Ergotherapeut:innen vereinen sowohl medizinisches, pädagogisches, psychologisches wie ganz praktisches Wissen.
„Ergotherapie begleitet den Menschen von klein auf“, erklärt Angelika Reinecke, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des DVE. „Ergotherapeut:innen kümmern sich um Kinder mit motorischen, sozialen oder geistigen Störungen, Erkrankungen oder Entwicklungsverzögerungen und um Kinder mit Behinderungen.
Bei vielen Erkrankungen wie beispielsweise bei Krebs, Depression, ALS, Multipler Sklerose, Parkinson, Schlaganfall, chronischen Schmerzen, psychischen Erkrankungen und ebenso bei körperlichen oder geistigen Behinderungen oder bei schweren Unfällen gehören Ergotherapeut:innen zum Behandlungsteam.“
Sie nehmen sich bei der Einzeltherapie die Zeit, Menschen ganzheitlich zu betrachten und konkret mit ihnen gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Oder bauen auch erst mal ein Hilfsmittel, wie z. B. eine individuell passende Schiene für die Alltagsbewältigung.
Unfall, und jetzt?
Andrea Reichardt rettete die Ergotherapie nach einem Sturz in den Bergen: Handballenknochen, Speiche und Elle der rechten Hand waren zertrümmert. „Radiusfrakturen gehören zu den häufigsten Brüchen, weil wir ganz automatisch die Hände vorstrecken beim Fallen“, hörte sie in der Folge öfter. Der DVE bestätigt: „Hände und Finger sind mit 40 Prozent aller Arbeitsunfälle die am häufigsten betroffene Körperregion.“
Auch häufig: Schnitte in die Beugesehne, die beim Kochen schnell passieren können. Andrea Reichardt bekam gleich nach der Operation eine Orthese; die orthopädische Klinik hatte zu ihrem Glück im Unglück eine eigene ergotherapeutische Abteilung. Doch mit nur einer funktionstüchtigen Hand konnte sie erst mal nicht arbeiten, sich nur mühsam allein anziehen und nicht mal ein Brot schneiden. Die gebrochene Hand und das Handgelenk waren nach der Operation und anschließenden Stilllegung geschwollen und steif. „Unglaublich, wofür man auf jeden Fall zwei Hände braucht! Selbst Fahrradfahren ging nicht mehr“, erinnert sie sich.
Therapieziel: Mehr Beweglichkeit
Eine auf Hände spezialisierte Ergotherapeutin begann behutsam, das Narbengewebe zu bearbeiten, heißt: massieren und mit Saugern bearbeiten, damit Verklebungen sich lösen und ihre Beweglichkeit nicht auf Dauer behindert ist. Mit Hilfsmitteln wie einem Handbad in Hülsenfrüchten, Gummibändern und „Spielzeug“ wie Stäben oder Klötzen übte Andrea Reichardt, wieder zu greifen, mehr Feingefühl zu entwickeln, die Hand Millimeter um Millimeter zu drehen. Heute kann sie nach der ergotherapeutischen Behandlung erleichtert sagen: „Es klappt wieder fast alles, vom „nach unten schauenden Hund“ beim Yoga mal abgesehen!“
Spiegeln, loben und für den Alltag stärken
Außerdem leiten Ergotherapeut:innen nicht nur an, wie und/oder mit welchen Hilfsmitteln der Alltag besser läuft. Sie spiegeln und loben, was schon klappt, um selbst kleine Fortschritte deutlich zu zeigen, wenn der Weg zurück in die Selbstständigkeit vielleicht noch weit ist.
„Indem ich meine Patienten auf jeden noch so kleinen Erfolg hinweise, aufzeige, was alles möglich ist, wohin sie sich (wieder) entwickeln können, mit ihnen darüber spreche, warum sie gerne zur Arbeit gehen und das wieder tun möchten, initiiere oder verstärke ich die Eigenmotivation. Denn ohne die bringt die ganze Behandlung nichts“, weiß Bianca Peters aus der Praxis. Das heißt: üben, üben, üben, auch wenn die Zeit bei dem:der Ergotherapeut:in vorbei ist!
Therapiemittel gibt’s auch bei Suchterkrankungen
Das gilt für kleine und große Patient:innen. Zu denen übrigens auch Alkoholiker:innen gehören, denn Ergotherapeut:innen helfen auch dabei, ungesunde Rituale wie das Glas Wein auf dem Sofa am Abend zu durchbrechen. Dann wird nach anderen leckeren Getränken gesucht oder einem Entspannungsmöbel, das emotional nicht mit Alkoholkonsum verbunden ist.
Ergotherapeuten sind heiß begehrt
DVE-Vorsitzender Pfeiffer: „Wir können keine Krise ‚wegmachen‘. Aber ja, wir machen Menschen stark, sodass sie mit inneren und/oder äußeren Krisen besser umgehen können.“
Einziger Haken: Ergotherapeut:innen sind heute in so vielen Bereichen gefragt, dass es nicht genug von ihnen gibt. Die Wartelisten bei Ergotherapeut:innen sind meist lang, obwohl gerade in Krisen und nach Not- wie Unfällen eine schnelle ergotherapeutische Unterstützung wichtig wäre. Inzwischen wird die Aus- oder Weiterbildung deshalb auch staatlich gefördert.
Extra-Tipps
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